Mittwoch, 4. April 2018

Das Ende des Wachstumsparadigmas, Wachstumszwänge und Postwachstumsgesellschaft

Die 1980er – ab diesem Zeitpunkt reichen die Ressourcen unserer Erde nicht mehr aus, um unsere Lebensweise und die künftiger Generationen dauerhaft zu sichern und die dadurch verursachten ökologischen Folgen zu tragen (vgl. Meadows et al. 2006, XVII). Seitdem nimmt der Bedarf der Menschheit an Ressourcen stetig zu, sodass wir heute ungefähr vier Erden bräuchten, um unsere von Rohstoffen abhängige Lebensweise auf Dauer beizubehalten. 

Entkoppelungsstrategien und „green growth“ – Methoden, mit denen wir unseren Lebensstandard aufrecht erhalten sollen und dennoch die Natur schonen – versuchen, uns darüber hinwegzutäuschen, was Kritiker seit Jahrzehnten als längst überfällig und unumgänglich erachten: Einen Wandel des unserer expansiven Lebensweise zugrundeliegenden Wachstumsparadigmas.

Das Antasten dieser fundamentalen Ideologie galt jahrzehntelang als unmöglich und auch heute noch sträubt sich vielerorts die Politik – aus vielfältigen Gründen –, die Notwendigkeit eines alternativen Gesellschaftsmodells zu thematisieren. Ein Grund dafür ist, dass der Wachstumsgedanke in seiner heute praktizierten exponentiellen Form nicht nur der Ökonomie, sondern auch gesellschaftlichen und subjektorientierten Strukturen zugrundeliegt und tiefer in unseren Köpfen verankert ist, als wir annehmen.


Doch das Wachstum hat seine Versprechungen vom Wohlstand und vom guten Leben für alle nicht gehalten und noch schlimmer: Es hat sich als tickende Zeitbombe herausgestellt. Die Menschheit steht nun vor der Aufgabe, ein neues Gesellschaftsmodell zu entwickeln, das sich zum einen durch die Vereinbarkeit mit den ökologischen Grenzen unserer Erde auszeichnet und sich zum anderen der leeren Versprechen des Wachstums annimmt.

Bedeutet jedoch die Alternativlosigkeit des Endes des Wachstumsparadigmas ein Zurückfallen der Gesellschaftsstrukturen und des Lebensstandards in die 1980er Jahre, als unser Bedarf von nur einer Erde gedeckt werden konnte? Mit dieser Arbeit soll unter anderem die Notwendigkeit eines Wandels klargemacht werden. Ausgehend davon ergibt sich die Frage, weshalb die Menschheit noch immer am Wachstumsparadigma festhält, es sollen also zudem diejenigen Wachstumszwänge thematisiert werden, die einen Ausstieg aus dem zugrundeliegenden Paradigma erschweren. Zuletzt soll das Modell eines bekannten Forschers zur Postwachstumsthematik skizziert werden.


Warum uns das Wachstumsparadigma in die Irre führt

Wachstum gilt heutzutage als Garant für Wohlstand. Wenn es uns wirtschaftlich gut geht, so heißt es, verbessern sich auch der Lebensstandard und das Glück der Menschen. Jedoch geht die Wissenschaft schon seit längerer Zeit davon aus, dass Geld nur bis zu einer bestimmten Grenze das Glück der Menschen zu steigern vermag. Seidl und Zahrnt bemerken: Der Zusammenhang zwischen Glück und Wirtschaftswachstum

„(…) besteht in der Tat bis zu einer gewissen Schwelle, die ungefähr bei der Hälfte des Pro-Kopf-Einkommens heutiger reicher Industrieländer liegt. Darüber hinaus verbessert Wirtschaftswachstum nicht oder kaum mehr die Lebenszufriedenheit“ (vgl. Seidl/Zahrnt 2010).
Dies bedeutet – im Gegensatz zum weit verbreiteten und unserem Konsumverhalten zugrunde liegenden Glauben , dass „mehr“ uns nicht glücklicher macht, sobald eine bestimmte Grenze erreicht ist, die sich jedoch weit unter dem befindet, was wir zum Beispiel in Deutschland heutzutage besitzen.

Des Weiteren gründet Wirtschaftswachstum heutzutage nicht mehr nur auf ökologischer Ausbeutung, sondern auf einer zunehmenden Staatsverschuldung. Dies hat strukturelle Gründe und ist an den Finanzkrisen der letzten Jahrzehnte deutlich erkennbar. Dass diese Tatsache als nicht so schlimm eingestuft wird und Staatsverschuldung quasi zum Normalzustand wurde, ist dem geschuldet, dass nicht wir, sondern künftige Generationen sich dem Problem stellen müssen. Hinzu kommt das gutgläubige Vertrauen in den technischen Fortschritt und unsere menschlichen Fähigkeiten, mit deren Hilfe sich das ökologische Desaster abwenden lassen soll.

Ein weiterer Irrtum beruht darauf, dass Wachstum die Ungerechtigkeitsfrage lösen wird. Die weniger verdienende Hälfte der Bevölkerung der Bundesrepublik besaß im Jahr 2016 nur 2,5% des Reichtums (vgl. Brunner/Ebitsch 2016). Es scheint eine simple mathematische Gleichung zu sein: Steigert man das BIP, so bekommt der ärmere Teil der Bevölkerung auch ein größeres Stück des Kuchens, der damit zugenommen hat und der Reichtum sickert nach dem „trickle down-Prinzip“ nach unten durch. Außer Acht gelassen wird allerdings – und das ist einer der Kritikpunkte des BIP (siehe Blogpost "Bhutan - Kleines Land, großes Vorbild?")  – dass die Verteilungsfrage damit ungelöst bleibt. Das Wachstum kann – auch wenn der Lebensstandard der Menschen dadurch bisher generell gestiegen ist – nicht zur Überbrückung der immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich beitragen.

Das sind nur einige der von Wachstumskritikern aufgeworfenen Probleme, die das Wachstum verursacht – psychische Grenzen des Wachstums und Kulturzerstörung wären Ansatzpunkte, die weiterführend diskutiert werden könnten. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der Hoffnungsträger Wachstum die oben genannten Probleme in Zukunft nicht einzudämmen vermag, manche davon werden sogar verschärft.

Während das Bewusstsein davon durch die Nachhaltigkeitsdebatte in die Gesellschaft durchdringt, nähern wir uns der nächsten Herausforderung: Unsere Lebensweise ist derart auf Erdöl angewiesen – Industrie, Verkehr, Medizin, Textilien, um nur einige Felder zu nennen, deren Funktionieren auf Erdöl beruht –, dass ein Wegbleiben dessen den Zusammenbruch jeglicher Infrastruktur und Netzwerke bedeuten würde und für uns beinahe nicht vorstellbar ist.

Umweltforscher datieren den „Peak Oil“, also den Zeitpunkt, zu dem die Hälfte des weltweiten Erdölvorkommens verbraucht sein wird und ab welchem die Erdölförderung abnehmen wird, zwischen 2020 und 2037 (vgl. bpb 2016). Und unmittelbar nach dem Peak Oil steht uns der „Peak Everything“ bevor, sodass klar wird, dass „unendliches Wachstum in einer endlichen Welt unmöglich ist“ (vgl. Leggewie/Welzer 2009).

Vor diesem Hintergrund betrachtet pendelt der Nachhaltigkeitsdiskurs heutzutage zwischen zwei gegensätzlichen Polen: Entweder die Menschheit hört auf zu wachsen oder – was der Aussage von Welzer und Leggewie widerspricht – sie wächst, ohne die verbleibenden Ressourcen derart zu überbeanspruchen und eine solche Spur der Naturzerstörung zu hinterlassen, die von der Erde nicht mehr kompensiert werden kann; sie wächst also „grün“.

Viele Ökonomen, aber auch Politiker und Umweltschützer wie zum Beispiel Ralf Fücks unterstützen sogenannte „Entkoppelungsstrategien“ oder Bewegungen wie „green growth“. Theorien wie diese basieren auf dem Grundgedanken, die Wirtschaftsleistung schrittweise vom Materialverbrauch unabhängig zu machen und somit auch die ökologischen Folgen zu reduzieren. Dabei stellt die Verbindung zwischen diesem Grundgedanken und Wachstum nicht zwingend ein „Arrangement wider Willen“ dar, sondern – zumindest im Hinblick auf relative Entkoppelung – eine sich zuspielende Verbindung, denn das Ziel der relativen Entkoppelung ist es, mit weniger Input mehr Output zu erreichen. Das korrespondiert mit dem Prinzip der Effizienzsteigerung, wie es in der Wachstumsideologie vorfindbar ist, äußerst gut.

Mit der Bezeichnung als „Mythos“ oder „Mär“, die einige Wissenschaftler aus dem Lager der Wachstumskritik solchen Strategien geben, soll nicht etwa deren positiver Effekt – der durchaus vorhanden und nachweisbar ist – in Frage gestellt, sondern vielmehr die Täuschung thematisiert werden, die in dem Glauben beruht, diese Strategien genügten, um die gesetzten ökologischen Ziele zu erreichen (vgl. Jackson 2011, S. 82).

Ein Vergleich zwischen der Steigerung des weltweiten BIP und dem Verbrauch von Erdöl, beruhend auf den Zahlen von 1970 und 2000, zeigt, dass die Steigerung des BIP diejenige der Erdölförderung bei weitem übertrifft und man somit durchaus auf einen positiven Effekt von Entkoppelungsstrategien bzw. wirtschaftlicher Effizienz schließen kann (vgl. bpb 2016).

Von einer Wunderheilung durch Entkoppelung ist jedoch bislang nicht auszugehen, denn erstens hält sich das Ausmaß der Wirksamkeit sehr in Grenzen und zweitens bleibt die Unvereinbarkeit von Wachstum und der Endlichkeit unseres Planeten bestehen, die sich beispielsweise in materiellen und finanziellen Rebound-Effekten sowie der bloßen Verlagerung ökologischer Probleme äußert. Ein Beispiel hierfür wäre die Nutzung von Atomenergie, die zwar fossile Brennstoffe schont, jedoch eine Reihe neuer ökologischer Herausforderungen und Risiken hervorbringt, wie zum Beispiel die Frage der Endlagerung oder gesundheitliche Folgen. So bemerkt Niko Paech:
„Die Tragik innovativer Entkoppelungsmaßnahmen besteht nicht zuletzt darin, dass ihr ohnehin nur theoretisches Problemlösungspotenzial auf genau jener Fortschrittslogik gründet, welche die zu lösenden Probleme überhaupt erst verursacht hat“ (vgl. Paech 2012, S.79).
Wie sich aus dieser Argumentation ergibt, sind Entkoppelungsstrategien zwar sinnvoll und auch realisierbar, ohne unserem Lebensstil gleich den Boden unter den Füßen wegzuziehen, jedoch können sie lediglich als Ergänzungsstrategie dienen, die das Grundproblem nicht aus der Welt schafft, sondern allenfalls verzögert.


Was uns zum Wachstum zwingt

Ausgehend von dieser Annahme stellt sich die Frage, warum unsere Gesellschaft trotz der offensichtlichen Fehlbarkeit der Wachstumsideologie noch immer daran festhält. Trotz der Dämonisierung der Wachstumskritik in einigen wirtschaftlich prosperierenden Staaten, kann seit dem im Jahr 1972 erschienenen Bericht des Club of Rome, in dem die "Grenzen des Wachstums" erstmals in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden, fehlendes Bewusstsein in der Bevölkerung nicht mehr als Vorwand herhalten. Es muss also andere Ursachen geben, die uns zwingen weiterzuwachsen und auf die im Folgenden das Augenmerk gerichtet werden soll.

Hier ist eine Unterscheidung in strukturelle und kulturelle Wachstumszwänge, wie sie auch der Ökonom und Wachstumskritiker Niko Paech vornimmt, sinnvoll. Dennoch können diese Faktoren nicht in völliger Unabhängigkeit voneinander betrachtet werden, da sie aufeinander einwirken.

Strukturelle Wachstumszwänge ergeben sich unter anderem aus dem Festhalten der gesellschaftlichen und ökonomischen Institutionen an den oben genannten Versprechungen des Hoffnungsträgers Wachstum, was ausschlaggebend für deren Ausrichtung ist. Wenn wirtschaftliches Wachstum die Ungleichheit innerhalb des Landes eindämmte oder die Arbeitslosigkeit verringern würde, scheint eine Orientierung an dieser Maxime auch wünschenswert. In ihrem Werk, in dem sie Konzepte der Postwachstumsgesellschaft thematisieren, bemerken Seidl und Zahrnt deshalb:
„Eine mögliche Erklärung für das Festhalten der Politik und Wirtschaft am Wirtschaftswachstum liegt darin, dass zentrale Gesellschafts-, Politik- und Wirtschaftsbereiche sowie Institutionen in der Art, wie sie heute gestaltet sind, existenziell auf ständiges Wachstum angewiesen sind. Und gibt es erstmal Institutionen, die auf Wachstum bauen, gibt es auch Interessen, die politisch auf dessen Erhalt hinwirken.“ (vgl. Seidl/Zahrnt 2010, S. 23)
Wie bereits erwähnt, verschärft Wachstum jedoch diese Herausforderungen bzw. erkauft deren Bewältigung zu einem hohen ökologischen Preis. Wenn das BIP als Messpunkt für Wohlstand genutzt wird, dann führt das dazu, dass Unternehmen Wirtschaftswachstum als wichtigste Komponente für Erfolg wahrnehmen und dies die gesellschaftliche Norm setzt.

Durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität ergab sich eine zwanghafte Wachstumsspirale, bei der Wachstum, hervorgerufen durch Wachstum, weiteres Wachstum erfordert. Die gesteigerte Produktivität hat den Effekt, dass man mit weniger Arbeitern ein größeres Ergebnis erzielen kann. Um nun einen hohen Beschäftigungsgrad aufrechtzuerhalten, muss folglich auch der Output dementsprechend größer sein, sodass mehr Arbeitskräfte benötigt werden (vgl. Paech 2012, S. 109). Ansonsten wäre Massenarbeitslosigkeit ein sehr großes Problem.

Ein weiterer Aspekt ist, dass unsere arbeitsteilige Gesellschaft, die Niko Paech „Fremdversorgungssystem“ nennt, sehr flexibel und ortsungebunden ist. Sind die Standortbedingungen an einem anderen Ort besser, wird die Produktion ohne viel Aufwand dorthin verlegt. Jedoch erfordert jeder Schritt zur weiteren Spezialisierung oder Arbeitsteilung eine vorherige Investition durch das Unternehmen, sodass dieses Überschuss erwirtschaften muss. Es existiert also ein notwendiges minimales Wachstum an Wertschöpfung mit zunehmender Spezialisierung, was Unternehmen zu weiterem Wachstum zwingt (vgl. ebd., S.104).

Der herrschende Konkurrenzkampf – sowohl innerhalb als auch zwischen den Nationen – bildet eine weitere Komponente des strukturellen Wachstumszwangs. Versucht ein Unternehmen beispielsweise, seinen derzeitigen Status beizubehalten, ohne weiter zu wachsen, so kann ihm das nicht gelingen, da die Konkurrenz vorbeiziehen würde und dieses Unternehmen seine Wirtschaftsfähigkeit verlieren würde (vgl. Seidl/Zahrnt 2010, S.44).

Stellen wir uns beispielsweise einen Handwerksbetrieb vor, dessen Umsatz in einem bestimmten Stadtviertel genug einbringt, um die zehn Mitarbeiter und den Betrieb zu finanzieren. Die Arbeiter sind zufrieden mit ihrem Arbeitsaufwand und ihren Gehältern. Sie sehen also keine Notwendigkeit, ihren Service auf ein anderes Stadtviertel auszuweiten oder ihr Angebot aufzustocken bzw. effizienter zu gestalten. Nun beschließt Handwerksbetrieb B aus einem nahegelegen Ort, seine Kundschaft zu erweitern und bietet seinen Service auch in dem Stadtteil an, in dem zuvor der Handwerksbetrieb A tätig war. Gleichzeitig beschließt ein Handwerksbetrieb C sein Serviceangebot zu erweitern und übernimmt nun auch das Handwerk, dass vormals nur Betrieb A angeboten hat. Von der Konkurrenz unter Druck gesetzt, ist der Handwerksbetrieb A gezwungen, nachzuziehen und seine Wachstumsrate zu erhöhen, wenn er auf dem Arbeitsmarkt überleben will.

Wie Hartmut Rosa formuliert, befindet sich die Gesellschaft in einem Zustand dynamischer Stabilisierung. Oft verdeutlicht wird dies mit der Metapher eines Fahrrads, das sich stabil im Gleichgewicht hält, solange es in Bewegung ist. Sobald es sein Tempo jedoch gefährlich reduziert, kippt es um. Dies bedeutet nichts anderes, als dass die Gesellschaft gezwungen ist, weiter zu wachsen, um ihren derzeitigen Zustand beizubehalten. Dies sei nun nicht mehr das Hinterherlaufen eines Ziels, sondern eher das Weglaufen vom Abgrund (vgl. Rosa 2018, Verleihung des Erich-Fromm-Preises), so Rosa, der damit auch die enge Verzahnung zwischen strukturellen und kulturellen Wachstumszwängen zum Ausdruck bringt. Denn das, was in besagten Abgrund auf uns wartet, ist der soziale Abstieg, und die Angst davor lässt uns blind werden vor dem ökologischen Desaster, auf das wir zeitgleich zusteuern.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Abhängigkeit zwischen Wachstum und Konsum. Der Wissenschaftler Fred Hirsch schreibt Konsumgütern vor allem einen demonstrativen Wert zu. Er geht davon aus, dass bei „steigendem Durchschnittseinkommen ein wachsender Anteil des Konsums (…) einen sozialen Aspekt annimmt.“ Das, so Hirsch, bedeute, dass die Befriedigung, die Menschen aus Konsumhandlungen ziehen, nicht mehr nur vom eigenen Konsum, sondern auch von dem anderer Menschen abhängt (vgl. Hirsch 1980, S. 15).

Je mehr Menschen Zugriff auf ein bestimmtes Gut haben, desto weniger befriedigt dessen Konsum. Was wäre denn noch besonders daran, wenn plötzlich jeder Zweite einen Porsche fahren würde? Letztendlich bedeutet dies, dass der Mensch sich durch die Unterschiedlichkeit der eigenen Position im Vergleich zu derjenigen der Mitmenschen identifiziert, was wiederum eine Art Konkurrenzkampf auslöst, bei dem jeder mehr haben muss, als die Menschen um ihn herum.

Wie weit der oben genannte Abgrund von uns weg ist, hängt also nicht nur von der eigenen Geschwindigkeit ab, sondern auch davon, wie schnell die anderen rennen. Dies bildet mitunter den wichtigsten Motor der Konsumgesellschaft und mündet in eine Wachstumsspirale. Menschen zu zwingen, weniger oder nicht mehr zu konsumieren, käme dann dem Verlust der eigenen gesellschaftlichen Position und Identität gleich.

Die weit verbreitete Annahme, mehr Geld führe unweigerlich zu mehr Lebensglück, ist ein weiterer kultureller Wachstumszwang. Schon zu Zeiten von Aristoteles wurde die hedonistische Seite des Menschen betont und die heute bestehende Verbindung zwischen Wohlstand und Materiellem bietet die Erklärung dafür, warum ständig der Anreiz besteht, immer mehr zu erwirtschaften und immer mehr zu konsumieren.

Jedoch wurde Wohlstand bereits von Aristoteles nicht nur auf der Grundlage des materiellen Besitzes berechnet. Laut Tim Jackson braucht es eine andere Definition von Wohlstand, um eine Loslösung dieser beiden Begriffe voneinander zu bewirken. Er plädiert deshalb für ein Verständnis von Wohlstand als der Fähigkeit zu gedeihen.

Dieser Gedanke wird von einigen Philosophen und Wissenschaftlern aufgegriffen, unter anderem auch von Amartya Sen. Sen betrachtet die Begriffe „Lebensqualität“ bzw.„Wohlstand“ aus einer freiheitlichen Perspektive, indem er diesen Begriffen Wahlfreiheit, Verwirklichungschancen und andere substantielle Freiheiten zugrundelegt. Finanzieller Wohlstand spielt dennoch – wenn auch eine kleinere – Rolle, insofern er als Mittel zum Zweck, also zur Verwirklichung dieser Freiheiten dient (vgl. Sen 2000, S. 37). Wohlstand hängt also davon ab, inwiefern der Mensch sich entfalten und gedeihen kann. Das Einkommen wäre im Grunde ersetzbar, sofern eine Substitutionshandlung bzw. ein Substitutionsgut die Entfaltungsmöglichkeiten garantieren könnte.

Diese „Fähigkeit“ von Wohlstand wird laut Jackson auf zweierlei Weisen begrenzt. Zum einen durch die ökologischen Grenzen und zum anderen durch die Größe der Erdbevölkerung, deren Zunahme den Anteil eines Einzelnen an den vorhandenen Ressourcen schmälert. Ein Wohlstand, der gerecht und beständig ist, sei nicht von den materiellen Bedingungen loslösbar (vgl. Jackson 2011, S. 63). Dies bedeutet zusammenfassend, dass ein Verständnis von Wohlstand mit den ökologischen Grenzen des Planeten vereinbar sein und deshalb gleichzeitig unabhängiger von Materiellem werden muss.

Der Prozess der Zivilisierung, den wir seit Anbeginn der Menschheit erleben, verbunden mit einer Verlängerung der Handlungsketten und vermehrter Interdependenzen zwischen Menschen, geht laut dem Soziologen Norbert Elias mit einer Internalisierung der Normen und Werte sowie mit dem Übergang von gesellschaftlichem oder Fremdzwang zu Selbstzwang einher. Übte zu Zeiten des Mittelalters noch der Herrscher einen direkten Einfluss auf seine Untertanen aus, stiegen im Zuge der Modernisierung die Freiheiten und die Eigenverantwortlichkeit der Menschen, deren Sozialisation und Erziehung mehr darauf bedacht sind, sich selbst zu kontrollieren (vgl. Treibel 2008, S. 58f.).

Dies lässt sich an einem Beispiel sehr gut verdeutlichen: Mussten Arbeiter zu Beginn der Industrialisierung noch mit Gewalt dazu gebracht werden, den ganzen Tag in der Fabrik zu arbeiten, ist der Acht-Stunden-Tag für uns heutzutage natürlich und selbstverständlich geworden. Aus einem Fremdzwang entstand also ein Selbstzwang (vgl. Welzer 2017, S. 27), der dem Zweck des Wohlstands dienen soll.

Was den Ausstieg aus dem Wachstumsparadigma, das für so lange Zeit als erstrebenswert erachtet wurde, erschwert, ist dessen Internalisierung und unsere Orientierung daran. Über ein halbes Jahrhundert steuerten wir in eine Richtung, die Wachstum als Wunderheilmittel für die Ungerechtigkeiten und Konflikte dieser Welt definierte, und jetzt sollen wir das Ruder plötzlich um 180 Grad herumreißen und in die komplett entgegengesetzte Richtung lenken! Die Verankerung des Wachstumsparadigmas in unseren Köpfen ist so tief, dass es scheint, wir hätten vergessen, wie es anders sein könnte.

Das sind einige der Gründe, die uns trotz der Fehlbarkeit des Wachstumsparadigmas noch immer daran festhalten lassen und einen Paradigmenwechsel enorm erschweren. Diese Faktoren müssen daher in einem Postwachstumskonzept berücksichtigt werden.


Was Postwachstum ausmacht

Im Grunde geht es bei einer Postwachstumsgesellschaft darum, die Wachstumstreiber auszuschalten, das heißt, ein alternatives Gesellschaftsmodell zu konzipieren, in welchem Wachstum weder notwendig für dessen Bestehen ist, noch als umfassende Maxime gilt.

Es gibt vielerlei Bewegungen, Projekte oder Initiativen, die eine De-Globalisierung, Suffizienzpolitik und die Orientierung am guten Leben als Ziel haben. Die Ökodorf-Bewegung, attac, buenvivir oder die Grundeinkommensbewegung sind Projekte, die sich an genau diesen Grundwerten orientieren und sich als der Postwachstumsidee zugehörig erweisen.

Die Redaktion des Blogs Degrowth stellt in dem Buch „Degrowth in Bewegungen“ die wichtigsten Initiativen, Gruppen und Projekte dar. Trotz der Vielfalt der Bewegungen – manche beziehen sich auf den Grundsatz der Selbstversorgung, andere setzen sich beispielsweise für eine Finanztransaktionssteuer ein – gibt es zugrunde liegende Merkmale, die jenen Postwachstumsbewegungen die Struktur verleihen.

Übereinstimmend bei diesen Modellen ist, dass keine Politik zur Erhöhung des Wirtschaftswachstums gemacht wird, was mit dem Umbau von Institutionen und Strukturen in wachstumsunabhängige Instanzen einhergeht. Zeitgleich wird das Wachstum des Ressourcen- und Energieverbrauchs gestoppt.

Jedoch ist eine Postwachstumsgesellschaft nicht gleichzusetzen mit einer Gesellschaft, in der überhaupt kein Wachstum stattfindet. Vielmehr bedeutet es ein strukturiertes Wachsen und Schrumpfen. Seidl und Zahrnt definieren die Postwachstumsgesellschaft deshalb als einen „Ordnungsrahmen, der die Unabhängigkeit [vom Wirtschaftswachstum] sichert und eine entsprechende Gestaltung von Wachstums- wie Schrumpfungsprozessen ermöglicht“ (Seidl/Zahrnt 2010, S. 34).


Wie der Mensch zu seinem Maß zurückkehrt

Als einer der wohl wichtigsten deutschen Forscher zum Thema Postwachstumsgesellschaft legt Niko Paech ein umfassendes Modell vor, welches die eben dargestellten Grundsätze in sich vereint. Dieses Modell soll im Folgenden umrissen werden.

Auch Paechs Ansatz basiert auf der Annahme, dass grünes Wachstum, Entkoppelungsstrategien und die damit einhergehende Öko-Effizienz sowie Kreislaufstrategien, die auf eine Umweltverträglichkeit unseres Konsums hinarbeiten, zwar gewisse Effekte erzielen, jedoch nicht ausreichend sind. Statt sich auf einen technischen Wandel zu verlassen, erachtet Paech einen kulturellen Wandel als maßgebend. Hierbei muss sich die Ökonomie an das Sozialsystem anpassen und im Bereich des der Gesellschaft Zuträglichen liegen, während das soziale System im Rahmen der ökologischen Grenzen agiert. Die Ökonomie ist hier also diejenige Größe, die sich an die Gesellschaftsstruktur und die Ökologie anpasst, nicht andersherum.

Paech selbst spricht von dem Wandel hin zu einer Postwachstumsgesellschaft als nicht angenehm und als einem Wandel, der uns zwingen wird, unsere Komfortzone zu verlassen. Jedoch gibt es einen Lichtstrahl am Ende des Tunnels, der sich nicht nur mit dem Nachhaltigkeitsbegriff gut verträgt, sondern auch eine wesentliche Verbesserung der Lebensqualität verspricht. 

In seinem Ansatz plädiert Niko Paech für eine Rückkehr zum menschlichen Maß. Dieser Begriff wurde unter anderem geprägt von Leopold Kohr, der die Annahme vertritt, eine zu große Gesellschaft würde Konflikte wie Krieg, Ungerechtigkeit und Krisen zunehmend verschärfen – mit „groß“ meint Kohr die soziale Größe, die sich aus verschiedenen Faktoren, wie der Bevölkerungszahl, der Dichte der Infrastrukturen, der verwaltungsmäßigen Integration und Komplexität und Ausdehnung der Strukturen ergibt (vgl. Kohr 1962, S. 27).

Ausgehend von Kohrs Annahme, es gebe eine optimale soziale Größe, stellt sich die Frage: Welche Größe oder wie viel Wachstum – um die Verbindung zwischen Lebensqualität und Wirtschaftswachstum zu ziehen – ist dem menschlichen Glück zuträglich und was darf der Mensch, um im Bereich des Zuträglichen zu bleiben? Was am Ende dieser Gleichung steht, wäre dann das menschliche Maß. Dieses wird in unserer Gesellschaft laut Niko Paech jedoch auf drei unterschiedliche Weisen überschritten, wobei er sich damit auf diejenigen Menschen bezieht, die materiell und ökologisch über ihre Grenzen leben.

Zum einen legte die Industrialisierung mit unzähligen technischen Entdeckungen und Entwicklungen – Fließbandfertigung, Elektrizität, dem Ausbau des Wassernetzwerkes, der Massentauglichkeit des Flugzeugs, um nur einige zu nennen – den Grundstein für das, was Paech körperliche Entgrenzung nennt. Darunter versteht er, dass die geleistete Arbeit in keinem Verhältnis mehr zum erzielten Ergebnis steht; der Output übertrifft den Input um das Vielfache und ist völlig losgelöst von den menschlichen Fähigkeiten. Diese Entwicklungen sind insofern relevant, als dass sie den Wert des quantitativen Wachstums ungemein in die Höhe schnellen lassen und die Grundlage für weitere Entwicklungen – und somit unser heutiges Wachstum – legen.

Die zweite Entgrenzung, die Paech beschreibt, ist die räumliche Verschiebung, durch welche die Länge der Wertschöpfungsketten stetig zunimmt (vgl. Paech 2012, S. 14 ff.). Um Effizienz zu garantieren, erfolgt im Zuge der Arbeitsteilung eine Spezialisierung verschiedener Unternehmen auf jeweils einen Teilbereich, sodass ein Produkt unzählig viele Stationen durchläuft, ehe es vom Konsumenten bequem per Lieferdienst nach Hause gebracht oder im örtlichen Laden gekauft werden kann.

Die Spezialisierung findet – der Maxime der Effizienz folgend – dort statt, wo die Rahmenbedingungen den maximalen Gewinn für die Unternehmer zulassen und so verstreuen sich die Stationen, die ein Produkt in seiner Fertigung durchläuft, über die ganze Welt. Begünstigt wurde diese Art der Entgrenzung durch mobilisierende Innovationen sowie die Öffnung der Märkte, zum Beispiel zu Zeiten des Bretton-Woods-Systems. Man kann also davon ausgehen, dass ab den 50er Jahren ein exponentieller Zuwachs des BIP einiger Industrienationen zu verzeichnen ist.

Die dritte Art der Entgrenzung ist die zeitliche Verschiebung. Damit ist eine Verlagerung wachstumsbedingter Konsequenzen in die Zukunft gemeint (vgl. Paech 2012, S. 18). Dies lässt sich an einem Beispiel sehr gut verdeutlichen: Bezahlt man Güter oder Dienstleistungen mit einer Kreditkarte, verlagert man die Kosten in den nächsten Abbuchungszeitraum. Der Unterschied zur zeitlichen Verschiebung der wachstumsbedingten Konsequenzen ist, dass sich dieser Zahlungszeitraum nicht mehr innerhalb unseres eigenen Lebens befindet und somit nicht von uns, sondern von künftigen Generationen übernommen werden muss.

Macht man sich nun noch bewusst, dass sich die Belastung unserer „Wachstumskreditkarte“ nicht nur auf einige hundert Euro beläuft, sondern auf Milliardenbeträge und noch schlimmer, nämlich auf ökologische Schulden, die unter Umständen nicht zurückzahlbar sind, könnte man die Gerechtigkeit dieser Zahlungsart, mit der wir unsere Nachkommen belasten, durchaus in Frage stellen.

Das von Paech entwickelte Konzept zielt darauf ab, diese Entgrenzungen sowie die genannten Wachstumszwänge und -treiber einzuhegen. Dies soll anhand dreier Komponenten geschehen:

1. Suffizienz

Auf dem Einband von Niko Paechs Buch, in dem er sein Modell einer Postwachstumsökonomie schildert, ist ein goldener Käfig zu sehen. Darüber steht der Titel des Buches: „Befreiung vom Überfluss“. Paech impliziert damit, dass Verzicht nicht rein negativ ist, so wie es oft wahrgenommen wird, sondern sagt vielmehr, dass Genügsamkeit eine Art Selbstschutz vor der völligen Reizüberflutung ist: Der Ausbruch des Menschen aus seinem goldenen Käfig.

Heutzutage können sich die Menschen mehr leisten als jemals zuvor. Luxusgüter, die vor einigen Jahrzehnten nur einem geringen Prozentsatz der Bevölkerung zugänglich waren, sind nun für viel mehr Menschen erschwinglich. Kaufkraft ist also nicht mehr das Problem. Die Herausforderung, der wir uns heute gegenübersehen, ist die begrenzte Zeit. Während die Menge der Konsumgüter, die wir uns aneignen, rasant zunimmt – jeder Deutsche besitzt heutzutage ungefähr 10.000 Dinge (vgl. Bigalke 2011) – hat der Tag immer noch nur 24 Stunden.

Das Glück bzw. die Befriedigung, die wir aus Konsum ziehen, bedarf, dass wir dafür Zeit aufwenden und uns mit einem Gegenstand beschäftigen. Da der Abstand zwischen unseren Konsumhandlungen jedoch immer geringer wird, bleibt kaum Zeit, sich mit einem Gegenstand zu beschäftigen, bevor ein Neuer der Aufmerksamkeit bedarf. Das Prinzip der Suffizienz zielt daher darauf ab, die Abstände zwischen den Konsumhandlungen zu verlängern. Es steht dem Konsum nicht per se konterkarierend gegenüber, sondern schränkt diesen lediglich ein.

Dementsprechend deutet Paech Suffizienz nicht als Verzicht, sondern als Fähigkeit, aus einer Konsumhandlung den größtmöglichen Genuss oder das größtmögliche Glück zu ziehen. Die Effekte dieses Prinzips beschränken sich nicht nur auf mehr Zufriedenheit der Menschen, die sich nicht mehr einer Reizüberflutung ausgesetzt sehen, sondern äußern sich zudem in einem Rückgang industrieller Produktion und somit De-Globalisierung, da der Mensch weniger konsumiert.

2. Subsistenz

Auch Subsistenz bewirkt einen Rückgang industrieller Wertschöpfung und Infrastrukturen. Die Substitution industrieller Produktion soll durch drei Maßnahmen erzielt werden, die heutzutage in kleineren Kreisen bereits auf verschiedene Weisen praktiziert werden.

So sollen zum einen Dinge selbst produziert werden. Ein Paradebeispiel hierfür ist der Lebensmittelanbau im eigenen Garten. Die Lebensmittelindustrie verursacht derart hohe ökologische Schäden, dass Eigenversorgung eine sehr große Entlastung darstellen würde (vgl. Paech 2012, S. 121 f.). Urban Gardening und Gemeinschaftsgärten sind Projekte, die auf eine verstärkte Unabhängigkeit bzw. Souveränität in der Lebensmittelversorgung abzielen, was aufgrund des großen Bedarfs an endlichen Ressourcen in diesem Industriezweig sehr sinnvoll erscheint.

Außerdem sollen industrielle Güter vermehrt gemeinschaftlich genutzt werden. Teilt man beispielsweise einen Rasenmäher mit zwei Nachbarn, so bräuchte nicht jeder Haushalt einen eigenen und die Nutzung wäre deutlich intensiver, was wiederum zu einer Reduzierung der industriellen Produktion führen würde. Car Sharing oder gemeinsame Bücherregale sind Bereiche, in denen Dinge bereits gemeinschaftlich genutzt werden.

Die dritte Komponente ist, dass Menschen anfangen, Dinge selbst zu reparieren, um deren Nutzungsdauer zu verlängern. Hier lassen sich Repair-Cafés als Beispiel anführen. Außerdem muss die Produktion eine längere Haltbarkeit der Güter zum Ziel haben.

Im Grunde erscheinen diese drei Maßnahmen sinnvoll. Würden sie jedoch auf eine weitaus intensivere und umfassendere Art und Weise praktiziert, als es mit den heutigen Angeboten wie Urban Gardening oder Car Sharing der Fall ist, ergäben sich zwei Probleme: Erstens ist der Zeitaufwand so groß, dass ein Vollbeschäftigter diesen keineswegs leisten könnte. Zweitens stellt sich die Frage, wie eine möglichst hohe Beschäftigungsrate bestehen bliebe, während die Industrie gleichzeitig ungemein zurückgebaut wird.

Die Antwort liefert Niko Paech mit seinem Modell einer 20-Stunden-Arbeitswoche. Dadurch, dass wir Menschen an sich weniger brauchen – durch Suffizienz, Selbstversorgung und Gemeinschaftsnutzung – genügt der Verdienst, den wir in der Hälfte der Arbeitszeit erwirtschaften. Die verbleibenden 20 Stunden würden für Subsistenzhandlungen verwendet werden, mit denen die industrielle Produktion zwar nicht vollkommen ersetzt, jedoch schrittweise um die Hälfte reduziert wird.

Die Menschen entwickeln sich zu „Prosumenten“ (vgl. Paech 2012, S. 123), die sich auf unterschiedliche Weise in ein Netzwerk einbringen. Handwerkliche Kompetenzen bilden einen wichtigen Bestandteil der Subsistenz, jedoch ist klar, dass Menschen unterschiedliche Begabungen haben. Spezialisierung muss deshalb nicht notwendigerweise in handwerklichen Bereichen stattfinden, sondern kann sich auch auf nicht-materielle Leistungen, wie zum Beispiel nicht-kommerzielle Dienstleistungen ausweiten.

So können Tauschgeschäfte stattfinden, bei denen eigenes Gemüse für das Flicken von Kleidung oder die Pflege der Großmutter getauscht werden. Damit dies funktioniert, bedarf es eines Netzwerkes, über das sich die Prosumenten absprechen und miteinander in Kontakt stehen. Niko Paech plädiert dementsprechend auch für einen Strukturwandel weg vom „Akademisierungswahn“ und hin zu einer stabilen Basis, unter anderem dem Handwerk, die es uns ermöglicht, uns souverän selbst zu versorgen.

Subsistenzstrategien führen nicht nur zu einem Rückgang industrieller Produktion – welcher laut Paech mit einem aktiven Rückbau der Infrastrukturen einhergehen muss – sondern schaffen auch die Grundlage für vielfältige soziale Kontakte, die auf einer entkommerzialisierten Ebene miteinander in Verbindung stehen, ermöglichen Vielfalt und erlauben dem Menschen, selbstwirksam zu sein.

Außerdem könnten Subsistenzhandlungen zu einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen oder zumindest helfen, die aktuelle Lebensqualität beizubehalten, wie sie Sen definiert, indem man die finanzielle Grundlage, die zur Entfaltung und dem „Gedeihen“ herangezogen werden, durch Substitutionshandlungen ersetzt. Laut Tim Jackson entspräche dies dann einem „gerechten Wohlstand“, da eine Verwirklichung des Menschen innerhalb der ökologischen Grenzen ermöglicht wird.

3. Regionalökonomie

Beim dritten Baustein geht es vor allem um die Reduzierung der strukturellen Wachstumstreiber, das heißt eine Verminderung derjenigen Mechanismen, in deren Folge Wachstum notwendig für wirtschaftliche Überlebensfähigkeit wird. Paech orientiert sich hier an einer „Ökonomie der Nähe“ (vgl. ebd., S. 114). Darunter versteht man die Verkürzung der Wertschöpfungsketten sowie eine Versorgung durch regionale bzw. lokale Produktion.

Die Produktionsorte sind dementsprechend kleiner und zielen darauf ab, den regionalen Bedarf zu decken, anstatt durch überregionalen Handel eine Gewinnmaximierung zu erreichen. Ein regionales Unternehmen ist weniger dem Konkurrenzkampf ausgesetzt, und da es keines Ausbaus von Infrastrukturen und überregionaler Distributionslogistik bedarf, sinkt der Wachstumszwang enorm.

Zusätzliche Regionalwährungen wären eine weitere Möglichkeit, den Handel räumlich zu entzerren. Eine zudem zinsfreie Währung, die innerhalb einer bestimmten Region gültig ist, könnte die Anfrage nach überregionaler Produktion weiterhin reduzieren und weitere De-Globalisierung ermöglichen. Niko Paech schlägt zum Beispiel eine Gebühr für das Umtauschen der Regionalwährung in die Hauptwährung vor oder das teilweise Auszahlen des Lohnes in der Regionalwährung.

Das Prinzip der Ökonomie der Nähe passt auch sehr gut zu Leopold Kohrs Annahme der optimalen Größe einer Gesellschaft – die Kohr übrigens auf 200.000 Menschen festsetzt (vgl. Kohr 1962, S. 43) – da die Regionalökonomie unweigerlich zu einer stärkeren, wenn auch nicht vollständigen, Isolation verschiedener Regionen führen würde. Die Reduzierung überregionaler Arbeitsteilung schließt jedoch globale Arbeitsteilung nicht vollständig aus, sodass diese mit einer von Subsistenz gekennzeichneten Selbstversorgung und der Ökonomie der Nähe kombiniert werden kann (vgl. Paech 2012, S. 119).

Die drei oben genannten Komponenten einer Postwachstumsökonomik bedeuten einen schrittweisen Rückgang des BIP und somit das absichtliche Herbeiführen einer wirtschaftlichen Krise. Resilienz, also die Fähigkeit zur Krisenbewältigung, ist laut Paech maßgeblich für das Bewältigen dieser Krise und ähnelt sehr dem Begriff der Autonomie. Suffizienz, Subsistenz und die Regionalökonomie dienen dazu, die Menschen unabhängig von den auf Wachstum angewiesenen Strukturen zu machen.

Das Ende der Welt, wie wir sie kennen?

Sei es ein komplettes Gesellschafts- und Ökonomiemodell, das ohne Wachstum auskommt, oder Zusammenschlüsse von Bürgern, die sich auf die Ideen der Suffizienz, Regionalökonomie oder Subsistenz berufen: Das Bewusstsein für die Wachstumsfalle, in der wir uns befinden, wird in den Reihen der Bevölkerung spürbar und weitet sich durch vielfältige Projekte, zum Beispiel der Sharing Economy, Tauschringe oder Gemeinschaftsgärten weiter aus. Jedoch ist die Arbeit damit noch nicht getan. Es ist ein weiter Weg, bis wir unsere Lebensweise mit dem Nachhaltigkeitsprinzip in Einklang bringen werden. 

Klar ist jedoch auch, dass uns die Alternativen ausgehen und der Zeitpunkt des Handelns längst überfällig ist. Würde die schrittweise Einführung eines alternativen Gesellschaftsmodells, wie es beispielsweise Paech vorschlägt, wirklich realisiert werden, ginge das mit enormen Veränderungen einher. Auf den ersten Blick kann das vielleicht angsteinflößend wirken, jedoch muss man sich bewusst machen, dass Paechs Prinzipien schon heute auf vielfältige Weisen praktiziert werden und letztendlich unserer Lebensqualität zugutekommen. Weniger geht es hier darum, Menschen zu erklären, wie sie sich nachhaltig verhalten sollen, sondern vielmehr darum, wie die Paradigmen so verändert werden können, dass sich die Menschen standardgemäß nachhaltig verhalten.


Literaturverzeichnis

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Paech, Niko (2012), Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, oekom, München.

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Treibel, Annette (2008), Die Soziologie von Norbert Elias. Eine Einführung in ihre Geschichte, Systematik und Perspektiven, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.

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Internetquellen

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Rosa, Hartmut (2018), Erich-Fromm-Lecture 2018 [Online]. Verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=xVNZiTzR8Co (Vortrag von Hartmut Rosa bei der Verleihung des Erich-Fromm-Preises, 21.02.2018) [28.03.2018]

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